Von Querdenkern und Followern
Hundetrainerin Jana hat diesen tollen und wie immer amüsanten Beitrag verfasst und plaudert unverblümt über ihre Bemühungen, Trainingsansätze und Misserfolge. Sie steht dazu, dass in ihrem Rudel ein Querdenker sein Unwesen treibt, trotz ihrer Fachkompetenz. Follower hat sie trotzdem ;-)
Hallo, ich heiße Jana, und ich habe zwei Hunde. So, oder so ähnlich würde ich mich bei den anonymen Hundehalten vorstellen. Hundehalter, denen es peinlich ist, wie sich ihr Hund in der Öffentlichkeit benimmt.
Ich habe Hunde. Zwei. Das betone ich immer besonders, denn es sind zwei so unterschiedliche Charaktere, die mir sehr anschaulich gezeigt haben, dass man nicht eine Erziehungsmethode für alle Hunde anwenden kann. Und auch wenn die Verhaltensbiologie meine beiden Hunde perfekt erklären kann, hilft sie mir leider nicht, jedes Verhalten auch zu bearbeiten oder zu ändern.
Aber zunächst zu meinen Hunden: Der Große, Neo, ist viereinhalb Jahre alt und seit vier Jahren bemühe ich mich, einen freundlichen, ruhigen, angepassten Hund aus ihm zu machen. Oder zumindest einen, mit dem man sich nicht schämen muss, wenn man draußen unterwegs ist.
Profi-Tipp:
Gewöhnt Euch das Schämen ab, das macht das Leben so viel leichter.
Vor knapp einem Jahr kam dann die kleine Pixel dazu, die einfach nur süß, lieb, und angepasst ist. Ich habe mit Neo sage und schreibe sechs Hundetrainer verschlissen, bevor ich mich entschlossen habe, selbst die Ausbildung zum Hundetrainer zu machen. Und ich kann inzwischen aus vielfacher Erfahrung sagen: Man kann nicht alle Hunde mit der gleichen Methode erziehen.
Glücklicherweise habe ich tatsächlich dann noch zwei Hundetrainer und meine Ausbilderin Snezi gefunden, die mit dieser Art Hund umgehen konnten.
Aber zurück zu den sechs Trainern: Man hört in Hundeschulen immer und immer wieder die gleichen Sprüche, und ich weiß, wie sehr mich das im Anfang zur Verzweiflung getrieben hat. Warum geht das bei allen, nur bei uns nicht? Was mache ich falsch?
Deshalb möchte ich hier mal meine beiden Hunde gegenüber stellen, um einen Teil der Bandbreite der Hundeerziehung aufzuzeigen, sowie ihre Grenzen.
Du hast keine gute Bindung zu deinem Hund!
Neos Bindung an mich besteht aus der Leine, die von seinem Halsband zu meinem Gurt geht.
Scherzle g'macht! Na gut, wir haben eine Bindung.
Er kommt zu mir, wenn ihm was in den Zähnen hängt, und bittet mich, es weg zu machen. Ja, allen Ernstes.
Er bringt mir den Futterball zum Frühstück.
Er sitzt brav da, wenn ich das Nassfutter zubereite.
Er freut sich, wenn wir im Garten Bällchen werfen oder einfach mit ihm rennen.
Er schläft – wenn ihm danach ist – im Bett. Für ein bis zwei Stunden. Dann wird es ihm zu eng, und er geht.
Er drückt seinen Kopf zwischen meine Knie, damit ich ihm die Ohren kraule. Dann brummt er wohlig.
Er liegt neben seinen Menschen auf dem Sofa, aber bitte mit ein paar Zentimetern Abstand.
Er hat eine Bindung zu mir, aber er ist auch sehr selbstständig.
Er bestimmt, wieviel Bindung er gerade haben will, und wann es genug ist.
Er ist ein echter Querdenker (als das Wort noch positiv belegt war), und trifft seine eigenen Entscheidungen. Meiner Entscheidung unterwirft er sich nur, weil ich es durchsetze, nicht, weil er es einsieht, oder weil das Leben für ihn dann einfacher wäre.
Pixels Bindung an mich fing einige Tage nach ihrem Einzug hier an. Sie dockte an mich an, weil ich der Mensch war, der Futter gab, streichelte. Sie liegt auf dem Sofa an meiner Seite und schläft neben mir im Bett. Sie hat sich das so ausgesucht, ohne, dass ich viel dafür tun musste. Sie ist ein "Follower". Sie mag nicht alleine sein.
Du musst für deinen Hund interessanter sein, als seine Umgebung, dann läuft er auch nicht weg.
Neo interessiert sich auf Spaziergängen für kaum etwas anderes als Jagen. Ich habe auf Anraten der Hundetrainerinnen im 10 m Abstand Leckerchen fallen lassen und ihn drauf aufmerksam gemacht. "Super! Toll! Leckerchen! Schon alle? Wo ist das Reh jetzt hin?"
Ich habe Agility über Baumstämme gemacht, Abruf mit Würstchen geübt, Dummytraining, Bälle werfen, Futterspiele, etc. Neo interessiert sich dafür genau so lange, wie er keine interessante Fährte in der Nase hat. Also ca. 2 bis 20 Sekunden. Dann wird wieder gejagt. Ich kann mit dieser Methode also anderthalb Stunden den Pausenclown für meinen Hund machen, oder mir etwas anderes überlegen.
Pixel dagegen hört, wie ich mit der Hand in die Leckerchentasche greife und steht vor mir. Sie jagt nicht. Ich bin immer, auch ohne Leckerchen, interessant. Ich habe Hände, die streicheln, und eine Stimme, die lobt. Das reich ihr.
Wenn Dein Hund an der Leine zieht, bleib stehen, bis er von sich aus die Leine lockert.
Da würde ich mit Neo heute noch stehen, wenn ich den Rat befolgt hätte. Manche Hunde lassen sich nicht durch Ignoranz beeindrucken. Neo findet tausend spannende Sachen, die man an straffer Leine machen kann. Es interessiert ihn kein Stück, ob es direkt weiter geht oder erst in einer Stunde. Ich habe einmal die Zeit gestoppt, bevor ich aufgegeben habe: 17 Minuten. Im Winter. Im Wald.
Diese Methode war offensichtlich für uns nicht geeignet. Auch rufen, wenden, zickzack laufen, oder "bei Fuß" trainieren hatte keine sichtbaren Auswirkungen auf die Leinenführigkeit. Inzwischen haben wir Methoden, wie doppelte Leinenführung und Halti, aber es hat gedauert, das kann ich Euch sagen.
Pixel lief auch nicht direkt zu Anfang sauber an der Leine. Aber wenn ich sie rufe, kommt sie sofort zurück. Bleibe ich stehen, schaut sie sich nach wenigen Sekunden nach mir um. Jede einzelne Methode, die mir je ein Hundetrainer genannt hat, funktioniert bei ihr. Das einzige, was nicht geht, und vermutlich nie gehen wird, ist Spannung auf die Leine zu geben. Dann zieht sie mit aller Kraft in die Gegenrichtung. Sobald ich locker lasse, kommt sie friedlich zu mir.
Bei dem musst du mal das Futter umstellen.
DIE go-to Antwort mancher Hundetrainer, die anders nicht weiter kommen. Hahaha-HA! Da gehe ich jetzt gar nicht auf Vergleiche ein. Hunde sind seit über 20.000 Jahren unsere Restevertilger. Sie sind in der Lage, so ziemlich alles, was wir wegwerfen, zu verdauen und daraus Energie zu ziehen. Rohes Fleisch macht sie nicht aggressiver (außer, wenn sie gerade darum streiten), und mehr Kohlenhydrate macht sie nicht langsamer oder friedlicher.
Es gibt eine ausgewogene Ernährung für Hunde und das bisschen, was man da nutzen kann, um Kohlenhydrate oder Proteine zu variieren, und trotzdem einen gesunden Hund zu haben, ist für Verhalten und Gemütszustand irrelevant. "Da musst du das Futter umstellen" ist ein anderer Ausdruck für "ich hab keine Ahnung, warum dein Hund bei meinen Methoden nicht spurt."
Unerwünschtes Verhalten muss man nur ignorieren, dann hören sie damit auf.
Ihr habt nicht mit der Ausdauer eines jungen, kontrollsüchtigen Hundes gerechnet. Neo hat uns im Anfang angesprungen, wenn ihm was nicht passte. Hat man das ignoriert oder sich einfach nur weg gedreht, wurde das Anspringen heftiger, bis zu dem Punkt, wo er in Kleidungsstücke biss und sie zerfetzte. Ignorieren ist auf Dauer keine Lösung, wenn man keine Flat-Rate bei C&A hat.
Pixel hat nie versucht, uns zu korrigieren, aber auch bei ihr ist es keine gute Idee, unerwünschtes Verhalten zu ignorieren. In der Kommunikation zwischen Hunden bedeutet Ignorieren, dass es einem egal ist. Dass alles okay ist, so wie es ist, mach einfach weiter. Hunde, die mit anderen Hunden aufgewachsen sind, interpretieren das genau so und machen dann auch einfach weiter. Mit dem Buddeln im Blumenbeet, dem Anbellen des Nachbarhundes, dem Zerlegen der Möbel…
Daher ist es eine gute Idee, Hunden Grenzen zu setzen und Einhalt zu gebieten, wo sie gerade etwas tun, was sie nicht tun sollen. In Pixels Fall ist das ein einfaches "nein" oder "äh!" und sie hört auf mit dem, was sie tut und kommt zu mir, um sich zu vergewissern, dass alles okay ist. In Neos Fall ist das ein "OI! SCHLUSS!" gefolgt von einem Anlauf in seine Richtung, der klar macht, dass ich bereit bin, mein Nein auch körperlich durchzusetzen. Das reicht in der Regel, damit er mit was auch immer aufhört. Aber dahin war es ein langer Weg, bei dem wir uns immer wieder durchsetzen mussten.
Und das ist einer der Punkte, wo die "rein positive Verstärkung", die manche Hundetrainer propagieren, bei manchen Hunden eben nicht funktioniert. Neo mag zwar Essen, und er mag auch Würstchen ganz besonders, aber er buddelt lieber, oder jagt lieber, oder bellt lieber anderen Rüden hinterher, als jetzt und hier ein Würstchen zu haben. Die Entscheidung trifft er ganz bewusst und jedes Mal neu. Die Anerkennung seiner Menschen ist zwar nett, wenn sie kommt, aber wenn sie ausbleibt, ist das für ihn auch kein Problem.
Wenn es mir also wichtig ist, dass ein Kommando von ihm umgesetzt wird, z.B. "geh bei Fuß" oder "bell den anderen Hund nicht an", dann muss ich auf der einen Seite die Belohnung anbieten, auf der anderen aber auch ganz klar machen, dass ein "nein danke" keine Option ist.
Bevor mich jetzt jemand beim Tierschutz anzeigt: Meine Maßnahmen beinhalten keine tierschutzrelevante Gewalt. Ich begrenze körperlich seinen Raum, stoppe ihn über die Leine, oder dränge ihn in eine andere Richtung. Ich biete alternative Verhalten an, die er statt des aktuellen "Fehlverhaltens" ausführen kann, so dass er nicht nur frustriert aufhören muss, sondern etwas ähnlich Nettes statt dessen machen kann. Also, könnte. Wenn er wollte. Aber die Tatsache, dass ich eben nicht schmerzhaft werde, bedeutet auch, dass ich diese Kontrolle bei Neo ein Leben lang werde durchhalten müssen. Er wird, weil er das so gelernt hat, immer und immer wieder das gleiche Fehlverhalten zeigen, möglicherweise immer schwächer im Laufe seines Lebens, aber ich werde es immer und immer wieder korrigieren müssen.
Pixel dagegen ist nach weniger als einem Jahr bei mir bereits so weit, dass sie, statt einen fremden Hund anzubellen, zu mir kommt, um sich ein Leckerchen abzuholen. Positive Gegenkonditionierung. Bei ihr wirkt aversives Training gar nicht. Sobald man mit ihr schimpft, oder gar (Himmel hilf!) mit dem Fuß aufstampft, macht sie einen Satz in irgend eine Richtung (besonders beliebt: auf die Straße) und lernt in diesem Moment genau gar nichts.
Das soll heißen: Ja, positive Verstärkung funktioniert. Sogar ganz hervorragend, wenn der Hund ein Interesse an positiver Verstärkung hat. Follower werden darauf sehr gut reagieren.
Querdenker, Selbstdenker, und Selbstentscheider kann man damit nicht kriegen. Hier muss man sehr kreativ werden, und andere Methoden anwenden. Ja, rein aversiv (strafend) würde hier greifen. Kein Tier führt auf Dauer Verhaltensweisen durch, die ihm weh tun oder schaden. Aber wer will schon seinen Hund mit Schmerz erziehen? (Jetzt nicht die Hand heben, bitte!)
Es bleibt also der Weg, hier dauerhaft wachsam zu bleiben, Alternativen anzubieten, hochwertige Belohnung, und laaaaaanges Training. Bei manchen ein Leben lang.
Ich bin in einer für eine Hundetrainerin ausgesprochen glücklichen Situation, dass ich zwei Hunde habe, die genau das Gegenteil voneinander sind. Ich kenne sozusagen die beiden Enden eines Spektrums, was die Kommunikation angeht. Und natürlich ist selbst das nicht alles, was es gibt. Es gibt da noch aggressive Hunde, Angsthunde, Einzelgänger, Rudelführer und so vieles mehr.
Eins haben mich meine beiden aber auf jeden Fall gelehrt: Jeder Hund ist absolut individuell, genau wie jeder Mensch in seinem Charakter und seinen kleinen Ticks und Macken absolut individuell ist. Wenn Trainer mit einer "one size fits all" Methode um die Ecke kommen, ist Vorsicht geboten. Wenn ein Halter ein spezifisches Problem mit seinem Hund hat, dann braucht es einen individuellen Zugang dazu. Hund und Halter sollten genau beobachtet werden, und die Trainingsmethode muss zu diesem einen Team passen.
Euch allen sei aber gesagt:
Das Problem ist nicht immer am anderen Ende der Leine. Manchmal ist das Problem nur die falsche Methode.
Und manchmal, ganz manchmal, gibt es Grenzen dessen, was möglich ist.
Semper vigilis!
Eure Jana von comet – Coaching für Mensch und Tier
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Einfach genial be-/geschrieben liebe Jana. 👍🙏